Die Entstehungsgeschichte des Bläserchores ist im wahrsten Sinne des Wortes eine „stürmische“ Angelegenheit. Als am 20. Februar 1920 Wilhelm Gertken als Pfarrer nach Rulle kam, wünschte er sich ein Blasorchester, das bei Wallfahrten und Prozessionen die Gesänge begleiten sollte. Der Kirchenvorstand aber war dem nicht so zugetan.
Wovon sollten die Instrumente bezahlt werden? Da ergab es sich, dass Pfarrer Gertken mit dem Kirchenvorstand nach Borkum fuhr, wo er Kaplan gewesen war. Es war ein stürmischer Tag. Das Boot auf dem Meer schaukelte so stark, dass den Männern angst und bange wurde. Diese Gelegenheit machte sich Pfarrer Gertken zunutze und sagte: „Wenn wir hier heil und gesund wieder herauskommen, stifte ich ein Horn für ein Blasorchester“. Nach und nach schlossen sich alle anderen dem Versprechen an und stifteten weitere Instrumente. Die Geburtsstunde des Bläserchores war gegeben. So konnte Pfarrer Gertken seine Idee in die Tat umsetzen und gründete am 24. Juli 1921 den Bläserchor Rulle.
Dass es Pfarrer Wilhelm Gertken mit der Gründung des Bläserchores vor allem um die musikalische Begleitung der kirchlichen Feiern ging, wird auch aus den noch vorhandenen handgeschriebenen Statuten von 1921 deutlich. Dort heißt es, dass es die erste Aufgabe des Chores sein soll, bei den Prozessionen die Choräle zu begleiten, aber auch bei gemeinnützigen Feiern der Kirchengemeinde mitzuwirken. Das erste Übungslokal war das Pfarrhaus, in dem zweimal wöchentlich unter Wilhelm Gertkens Leitung, der selbst jedes Instrument außer Posaune und Klarinette spielte, geübt wurde. Schon nach einigen Monaten wurde das Gasthaus Nieporte Vereinslokal, wo auch heute noch wöchentlich geprobt wird.
Die ersten aktiven Bläser von 1921 waren:
Wilhelm Gertken (Leiter), Johannes Garthaus, Bernhard Kahmann, Ferdinand Klanke, Franz Sander, Franz Wamhoff-Spannhorst, Franz Weghorst. Doch ohne finanzielle Hilfe konnte der junge Verein nicht existieren. So fanden sich vom Gründungsjahr an Menschen bereit, den Chor zu unterstützen. Die ersten fördernden Mitglieder von 1921, damals als Ehrenmitglieder aufgeführt, waren:
Heinrich Beckmann, Josef Garthaus, Franz Große Schawe, Josef Helmich, Anton Knollmeyer, Franz Nieporte, Wilhelm Sander, Heinrich Törner, Johannes Vornholt, Ludwig Wöstmann-Garthaus.
Der Jahresbeitrag der Ehrenmitglieder wurde auf 3,- Reichsmark festgesetzt und 1932 auf 5,- Reichsmark erhöht. Dieser Beitragssatz blieb bis 1964 mit 5,- DM unverändert. Damals mussten auch die aktiven Bläser ihren Verein finanziell in Höhe des halben Jahresbeitrages unterstützen
Durch Fleiß und Energie konnte der kleine Chor 1922 zum ersten Mal auftreten und begleitete bei der Einweihung des Marienbrunnens die Gesänge der Gemeinde. Und bereits am 15.April 1923 trat der Chor mit einem Konzert an die Öffentlichkeit. Auf Anregung von Pfarrer Wilhelm Gertken folgte 1925 ein Konzert- und Theaterabend bei Knollmeyer im Nettetal, dessen Programm noch heute erhalten ist. Der Erlös war für den Bau der Wallfahrtskirche bestimmt.
Auf Pünktlichkeit und Disziplin wurde schon sehr früh Wert gelegt. Im Protokoll der Generalversammlung von 1924, der zweiten überhaupt, heißt es wörtlich: „Für Verspätung in den Übungsstunden, wenn selbige mehr als 5 Minuten beträgt, wurde eine Strafe von 10 Pf. festgesetzt. Für einmaliges Fehlen bei den Übungsstunden wurde eine Strafe von 50 Pf. festgesetzt.“
Früh wurde auch der Kontakt mit den anderen Vereinen der Gemeinde geknüpft und gepflegt. So begleitete der Bläserchor bereits 1935 den Festzug des Schützenvereins Rulle. Wie aus dem jährlich aufgeführten Mitgliederverzeichnis zu ersehen ist, waren erfreulicherweise immer wieder Menschen bereit, als aktive Bläser im Chor mitzuspielen. Das älteste Foto des Bläserchores stammt aus dem Jahre 1935 und dokumentiert das Mitgliederwachstum des Vereins.
Doch die folgende Zeit des Krieges brachte auch für unseren Chor schmerzliche Verluste. Das letzte Protokoll wurde 1941 niedergeschrieben und benennt 9 Bläser, die zum Wehrdienst eingezogen wurden. Danach liegen der Chronik keine weiteren Aufzeichnungen vor. Erst am 27. Dezember 1949 wurden die Mitglieder durch einen damals ortsüblichen dreifachen Anschlag wieder zu einer Generalversammlung geladen.
Mit der unmittelbaren Nachkriegszeit endete auch die Zeit unter unserem ersten Dirigenten. Auf Grund seines hohen Alters trat Dechant Gertken auf eigenen Wunsch im Jahr 1948 als Dirigent zurück. Als neuer Dirigent wurde Lehrer Robert Laermann vorgeschlagen, der von nun an die Leitung des Bläserchores übernahm. Hier bei der Sportplatzeinweihung 1949
Am 11. Juli 1952 starb Dechant Wilhelm Gertken. 31 Jahre hat er den Bläserchor geformt, geprägt und immer wieder neu motiviert. Anlässlich seines goldenen Priesterjubiläums verlieh ihm 1946 der Bischof den Titel „Geistlicher Rat“. Groß sind die Verdienste des Verstorbenen um die Wiederbelebung von Rulle als Wallfahrtsort des Osnabrücker Landes. Seiner Energie und seinem Kunstverständnis ist es zu verdanken, dass in Rulle heute die große, schöne Wallfahrtskirche steht, an deren innerer Ausstattung er bis in die letzten Wochen seines Lebens arbeitete. Der Bläserchor Rulle gab seinem Gründer und Ehrendirigenten mit der gesamten Trauergemeinde das letzte Geleit und wird ihm immer ein bleibendes Andenken bewahren.